Im heutigen Interview spreche ich mit Manuel von Gravity Coach über die Themen Hohlkreuz und Plattfüße, und wie die Zusammenhänge des Körpers funktionieren.
Vivi: Ich freue mich, dass du dabei bist, Manuel! Magst du dich kurz vorstellen für die Leute, die dich noch nicht kennen?
Manuel: Ja. Du hast ja schon meinen Namen gesagt. Wer auch meinen Nachnamen hören möchte: Guarrera. Aber ich bin kein Spanier, kein Portugiese, kein Brasilianer. Ich habe italienische Gene.
Ich bin Personal Trainer, agiere hier in Düsseldorf und ich bin, wie du so schön gesagt hast, ein Freund der Bewegung.
Ich komme eigentlich aus der Fitness Welt. Für mich war Bewegung immer Mittel zum Zweck – um gut auszusehen. Bis ich irgendwann gerafft habe, dass das sehr oberflächlich ist und nicht zwangsweise Gesundheit bringt. Es war mir schon wichtig, nicht nur gut auszusehen, sondern auch “bulletproof” zu sein.
Aber das hat sich irgendwann gerächt. Ich bekam Probleme mit den Füßen – da wirst du jetzt schmunzeln – mit dem Becken, mit der Brustwirbelsäule und so weiter. Irgendwann durfte ich verstehen, dass ich nur an der Oberfläche gekratzt habe. Ab dann hab ich mich mehr dem Thema Bewegung gewidmet. Das ist nur ein Teil meiner Reise und es wird noch 50 Jahre oder vielleicht 30 Jahre andauern.
Vivi: Wir wollen heute über dein neues Steckenpferd sprechen. Ich würde mich für das Thema Hohlkreuz bzw. gesunde Haltung interessieren. Was ist eigentlich die gesunde Haltung? Denn es gibt nicht nur eine gesunde Haltung. Wie kamst du zu dem Thema bzw. was möchtest du uns heute darüber erzählen?
Manuel: Ja, neues Steckenpferd will ich gar nicht sagen, sondern es ist ein Teil der Reise gewesen, zu verstehen, wie viele Möglichkeiten wir haben, uns zu bewegen. Und auch zu halten oder auch zu ver-halten, weil das auch ein Teil meiner Reise war.
Ich hatte eine sehr ausgeprägte Lordose. Wir sagen im Deutschen, wenn du in dieser Position gefangen bist, gerne “Hohlkreuz” dazu. Ich habe mir sagen lassen, ich habe es nie geprüft, dass wir Deutschen wohl die Einzigen sind, die für so einen Zustand ein eigenes Wort haben. Das Hohlkreuz, also das Wort, wirst du wohl im Englischen, Französischen und Spanischen so in der Form gar nicht finden.
Ich fand aber den Gedankengang sehr faszinierend. Weil, wie du schon so schön gesagt hast, es gibt nicht DIE Haltung, sondern das Einzige, was wir in diesem Zusammenhang bringen dürfen, ist Effizienz.
Das ergibt Sinn mit meinem Künstlernamen “Gravity Coach”. Ich stelle die Frage: “Bin ich, bzw. ist mein Körper effizient ausgerichtet gegenüber der Schwerkraft?” Das Ganze ist immer im Kontext der Bewegung oder der Haltung zu sehen. Wenn ich viel sitze, habe ich wenig Spielraum, aber ich kann mich trotzdem ver-halten. Das heißt, ungünstige Hebel haben, sodass ich dann irgendwann merke, dass ich Verspannungen im Nacken, oder in der Lende habe. Das ist der Klassiker, denn es haben viele Leute, diese, ich sage jetzt mal Kreuzschmerzen. Das ist auch wieder so ein Begriff, den nur die Deutschen haben.
Das Einzige, was ich mit meinem Programm versuche, ist, den Menschen ein bisschen mehr Tiefgang mit an die Hand zu geben, was das Thema Haltung betrifft. Es geht ja nicht per se um das Hohlkreuz an sich, sondern darum:
- Was spielt da alles rein? Ich habe schon eine Sache genannt wie Schwerkraft.
- Welche Schuhe trage ich?
- Wie ernähre ich mich?
- Wie ist mein Mindset eingestellt?
Wenn ich die ganze Zeit in einem Workaholic Modus bin, leidet mein Körper irgendwann, wenn ich nicht lerne aus meinem “Ballermodus” herauszukommen.
Vivi: Da stimme ich dir zu. Ich habe meine eigene Geschichte dazu und denke, ich werde von dir auch noch lernen. Ich habe primär einen großen Schweinehund. Nur weil man selbst Physiotherapeut:in ist, heißt es noch lange nicht, dass man seine eigenen Themen auf der Kette hat. Genauso, wie es Ärzte und Ärztinnen gibt die rauchen. Ich bin gerne in meinen passiven Strukturen “hängend” unterwegs. Das heißt, ich habe eine sogenannte Hyperlordose und nicht sonderlich viel Core-Spannung (Spannung in der Körpermitte). Klar, ich kann die aufbauen, wenn ich z.B. lache oder huste. Aber sonst hänge ich gerne ein bisschen bananenmäßig rum. Ich überstrecke die Knie und „hänge“ einfach, ohne aktiv zu sein.
Erzähl mal ein bisschen, was wäre dein Ansatz für Menschen, die keinen therapeutischen Hintergrund haben? Wie könnte man verstehen, warum das so ist, und wie kann man das ändern?
Manuel: Bleiben wir nochmal kurz bei der Schwerkraft, weil das ist glaube ich etwas, was jeder nachvollziehen kann. Ich habe dazu ein kleines E-Book verfasst, da spreche ich z.B. vom schiefen Turm von Pisa. Wenn du den schiefen Turm von Pisa siehst, dann weißt du sofort: Da stimmt irgendwas nicht. Warum weißt du das?
Vivi: Weil wir grundsätzliche Vorstellungen von Physik haben. Wir wissen, dass etwas umfällt, wenn sich der Schwerpunkt in eine Richtung verschiebt.
Manuel: Genau. Das heißt, ein schiefer Turm von Pisa, der muss richtig aufwendig fixiert werden, damit er nicht umfällt. Diese Kräfte, die auf diesen Turm drücken, sind die gleichen, die auf uns wirken. Nur sind wir natürlich nicht so massig, nicht so schwer, wie so ein Turm. Ich weiß gar nicht, wie viele Tonnen so ein Turm wiegt. Aber es müssen gar keine Tonnen sein. Es können auch Gramm sein. Das Gehirn hat ein Gewicht von pauschal etwa 1300 Gramm.
Ein Kopf wiegt zwischen 4 und 6 Kilo, soweit ich weiß. Wenn er ganz aufeinander aufgebaut ist, sodass der Schwerpunkt in der Mitte ist.
Wenn wir uns jetzt nochmal das Bild vom schiefen Turm von Pisa in den Kopf rufen. Der ist quasi aus seinem Senklot rausgerutscht. Stell‘ dir mal vor, so ein Kopf, der ist nur 3-4 Zentimeter 24/7 bzw. ich schlafe ja auch – das nehme ich jetzt mal kurz raus – der ist dann permanent um zwei Zentimeter nach vorne verschoben. Das ist eine Last, die permanent auf diesen Strukturen lastet. Irgendwie muss das ja fixiert werden, dass der Körper sagt: Okay, ich halte jetzt mal dagegen.
Das sind dann, ich will jetzt pauschalisieren, die klassischen Verspannungen im Nacken. Die werde ich nie los, da kann ich massieren noch und nöcher. Wenn ich mir nicht anschaue, wie ist mein Körper gegenüber der Schwerkraft grundsätzlich aufgestellt? Im wahrsten Sinne des Wortes. Das schaue ich mir zum Beispiel an, dazu musst du kein Physik Professor oder sonstwas sein.
Außerdem habe ich ein paar Prinzipien, die ich den Leuten erkläre. Zum Beispiel: „Ich möchte, dass wir es schaffen, deine Gelenke zu stapeln, sodass du wenig Angriffsfläche gegenüber der Schwerkraft bietest“. Deswegen sage ich, das ist eine effizientere Haltung, die in diese Richtung abzielt. Aber sie ist nicht zwingend die Richtige, weil es gibt keine richtige Haltung.
Vivi: Ich finde das cool, wenn man mehr über seinen Körper verstehen lernt und noch mehr Prinzipien checkt. Weil, welcher normale, am Computer sitzende Mensch, macht sich Gedanken darüber, ob sein Kopf schwerer wird, wenn der weiter nach vorne hängt und in dieser typischen Geier-Kopfhaltung ist? Niemand macht sich darüber Gedanken. Das ist einfach so normal. Dann muss man sich massieren lassen oder sich auf die Heizdecke legen. Aber das man total in der Hand hat, was man mit seiner überforderten Struktur machen kann, ist leider noch nicht so weit verbreitet. Aber da arbeiten wir ja beide sehr stark daran, dass sich das verändert.
Da ich dich schon kenne und dich auch online verfolge, weiß ich, dass du auch eine Geschichte mit dem Thema Plattfuß hast. Du hast bestimmt für dich schon Zusammenhänge geschlossen aus: Was hat meine Fußstellung (Plattfuß ist ein Sammelbegriff, es ist eigentlich ein Knickfuß), also was hat mein Knickfuß damit zu tun, was später vielleicht oben in meinem Rücken ankommt? Möchtest du dazu was erzählen?
Manuel: Ja, das ist sogar sehr spannend. Vielleicht wird der eine oder andere sich da auch wiederfinden. Ich habe eine skoliotische Fehlhaltung. Ich nehme an, das hat mit einem Unfall in der Kindheit zu tun. Ich habe Narben am Bein, es kann aber keiner mehr sagen, woher die kommen. Ich nehme an, dass sich da eventuell etwas eingeschlichen hat. Mein linker Fuß knickt tatsächlich mehr nach innen weg. Heutzutage nicht mehr so, wie es eine Zeitlang war.
Das ist wie ein Dominoeffekt, eine Folgekette. Das bedeutet, der Fuß ist nach innen geknickt, das Bein ist nach innen eingedreht und das ganze Spielchen hat sich durch den Körper durchgezogen. Das war wie eine Verdrehung, also eine Torsion. Das heißt, da ist dann plötzlich die Kompensation der Skoliose zu finden gewesen. Das Blöde ist, ich habe gar nicht gewusst, warum das so ist und das es so ist, war mir auch nicht klar.
Erst bei der Musterung hat man hinterher zu mir gesagt: „Ja, sie haben da Senk-, Spreizfüße, oder Senkfüße und die eine Seite ist sogar noch auffälliger“. Das wusste ich gar nicht. Es war für mich normal, dass der eine Fuß ein bisschen anders aussah als der andere. Dass das Konsequenzen hatte, war mir nicht bewusst. Erst, als ich dann zum Training gegangen bin und ein paar Jahre trainiert habe, habe ich gemerkt, dass es nicht besser, sondern schlimmer wird. Dann hat es es sich gerächt, dass diese Verdrehung, die ich hatte, sich durch den ganzen Körper natürlich durchgezogen hatte. Thanks Gravity.
Die Schwerkraft begünstigt ja dieses rein schrauben. Ich durfte dann lernen zu verstehen, dass ich Dinge machen kann, um mich da wieder raus zu manövrieren. Aber das war gar nicht so einfach. Ich glaube, ich war so Mitte dreißig, als ich begonnen habe zu verstehen, was ich machen muss. Dann hat es vielleicht nochmal so zwei, drei Jahre gedauert bis ich komplett schmerzfrei war. Es gab Höhepunkte, da war kein Jogging mehr möglich ohne Schmerzen. Vor allem im linken Fuß. Auch kein Spazierengehen mehr im Urlaub. Ich bin gerne im Süden unterwegs, da wird auch viel spazieren gegangen. Nach ein paar Stunden hatte ich wirklich Schmerzen im Fuß. Jetzt kann ich morgens um 8 Uhr losgehen und abends um 8 Uhr nach Hause kommen. Kein Ding.
Vivi: Das heißt, es gibt noch mehr Menschen außer mir, die sagen: Knickfüße, Senkfüße, Plattfüße kann man trainieren. Das funktioniert tatsächlich.
Ich finde es immer noch richtig faszinierend, dass man so viel selber machen kann. Wenn man die Kompetenz für seinen Körper zurück bekommt, kann man so viel in die Hand nehmen und so viel verändern. Das ist echt richtig geil. Deswegen freue ich mich auch, dass du dahingehend ein paar Tipps geteilt hast und vielleicht noch einen oder zwei mitgibst.
Angenommen, ich wäre eine Klientin und du hättest jetzt gesehen, dass ich aussehe wie eine Banane. Kannst du einen Pauschaltipp geben oder sagst du das ist alles individuell?
Manuel: Es ist individuell. Es gibt aber immer so – ich sage jetzt mal – einen roten Faden. Den finde ich bei fast jedem. Womit ich momentan sehr viel arbeite ist die Atmung. Durch die Atmung habe ich tatsächlich einen Einfluss auf den Schwerpunkt im Fuß und andersherum. Aber erstmal muss ich wissen, der Fuß hat ja 33 Gelenke. Wenn ich einen klassischen Schuh angucke, wie fest so ein Ding ist! Man hat früher immer gesagt, gerade bei Wanderschuhen, die müssen richtig stabil sein. Aber 33 Gelenke und ein stabiler Schuh? Da läuft irgendwas verkehrt. Das ist ja unlogisch.
Zehenyoga kann helfen zu verstehen. Es geht nicht mal um die Bewegung an sich, sondern darum, dass ich die Füße anfasse. Das ich dieses Feuerwerk an nervalen Verbindungen hochjage. Damit das Gehirn versteht: Ah, da hab ich ein Auge extra nur für den Boden! Warum sind denn ältere Menschen immer so unsicher, wenn es darum geht zu gehen? Weil sie nicht mehr sehen können mit ihren Füßen. Dafür nutzen sie dann ihr offensichtliches Sehorgan, ihre Augen, und gucken dann Richtung Boden und verreißen erst recht ihre Haltung. Dann sind sie noch unsicherer und fallen erst recht.
Vivi: Die meisten Augen werden im Alter auch nicht unbedingt besser.
Manuel: Das kommt noch dazu, genau. Deswegen bin ich ein Riesenfan davon: Erfrische deine Füße. Fasse sie an, rolle sie aus und benutze sie. Das habe ich auch eine Zeitlang sehr gerne gemacht. Es tut immer noch gut. Das kann mit einem Tennisball oder einem Lacrosse Ball sein. Ich habe einen Hund, der lässt sein Spielzeug überall liegen. Das nutze ich auch und “stiefel” da drüber.
Am Anfang tat so etwas weh, weil natürlich, wenn diese 33 Gelenke nie gelernt haben, miteinander zu interagieren, dann hast du da einfach nur einen Backstein unter dem Sprunggelenk. Wenn du am Strand gehst, sind dort viele Kieselsteine oder Muscheln. Dann hast du so einen pieksigen Gang. Aber je flexibler dein Fuß wird, desto weniger macht dir das was aus.
Du kannst so kleine Veränderungen in deinem Alltag schaffen, in deiner Wohnung. Jetzt habe ich bei mir das Hundespielzeug. Du kannst dir z.B. drei Tennisbälle auf den Boden schmeißen, und wenn du in der Küche kochst, dann bist du ab und zu mal da drauf. Oder unter dem Schreibtisch. Das heißt: verändere deine Umwelt dahingehend, dass du dich wieder mehr entdecken darfst. Das klingt so läppisch, aber das hat Auswirkungen!
Vivi: Ja genau. Ja, ich finde, einer der einfachsten Tipps ist, die Schuhe auszuziehen und so viele verschiedene Untergründe wie möglich zu entdecken und darüber zu gehen. Gerade dadurch, dass wir in so einem Beton-Dschungel leben, haben wir einfach ganz viele plane, ebene, langweilige, harte Böden. Hart ist kein Problem, aber es ist voll cool, wenn man über Kopfsteinpflaster geht, wenn man über die Graskante läuft, wenn man sich Unebenheiten sucht. Und wenn man nur in der Stadt lebt, dann dieses Urbane entdeckt. Oder auch draußen mal über einen liegenden Baumstamm balanciert, über den Schotter geht usw., sodass möglichst viel und einfache kostenlose Bewegung in den Fuß bekommt.
Manuel: Wusstest du, dass Zootiere auch Schwierigkeiten mit ihren Füßen haben? Durch diesen geebneten, harten Boden, gerade auch bei Elefanten, sind die, wie sagt man da, Hufe oder Pfoten oder wie auch immer, Füße tatsächlich kaputt gegangen oder degeneriert, sodass die da wirklich Schwierigkeiten hatten. Bei uns ist es nicht anders. Wir sind ja auch Zootiere. Nur sind wir nicht hinter Gittern, sondern wir haben unseren eigenen goldenen Käfig.
Das ist übrigens ein spannendes Thema, weil du eben sagtest, ich balanciere mal über ein Stück Holz, oder eine kleine Mauer oder sowas dergleichen. Ich bin jetzt 42 und mache das immer noch. Ich merke immer, wenn ich mit meinen Leuten unterwegs bin, die ja mindestens genauso alt sind. Die sagen so: „Nee, das mache ich nicht“. Die erste Blockade ist dein Kopf. Da haben wir wieder das Thema Verbindung zum Mindset und körperliche Fitness. Sei doch wieder ein bisschen Kind! Ein Kind schämt sich nicht dafür, dem ist es scheißegal, was die Leute denken.
Vivi: Ja, das lebt einfach seinen Bewegungsdrang und Entdeckungsdrang.
Manuel: Genau. Ich weiß, dass ich in 40 Jahren, wenn ich so weiter mache, ich niemals Angst haben muss, dass ich vielleicht nicht gehen werde. Natürlich kann immer ein Trauma oder ein Unfall passieren. Aber wenn ich das weiter so mache, brauche ich keine Angst haben. Ich habe jetzt schon Kunden, die mir sagen: „Ich möchte nicht so enden wie meine Mama oder mein Papa“. Die sind dann auch gerade mal 40 oder 50, diese Menschen, die mir das sagen. Und ich denke mir: Wieso hast du denn Angst? Wenn dein Verhalten sich jetzt verändert, nachhaltig vor allen Dingen, brauchst du keine Angst haben.
Vivi: Wir haben auch eine Woche in meinem Barfuss Powerkurs mit einer Challenge. Es geht darum, auf allem was es gibt, zu balancieren. Die Challenge ist natürlich einerseits fürs Balancieren, aber auch andererseits für die Wahrnehmung in der eigenen Welt. Überall, wo du unterwegs bist, auch wenn du in der Stadt wohnst, gibt es die Möglichkeit, dass du Dinge zum Spielen entdeckst. Dass du etwas siehst und denkst: „Oh, da könnte ich versuchen drauf zu balancieren!“ Klappt vielleicht nicht, aber allein der Versuch ist doch mega cool, oder?
Einfache Dinge, wie auf der Linie, auf dem Asphalt zu versuchen zu balancieren oder einfach, dass man die Welt versucht mit anderen Augen zu sehen. Es gibt ja so viele Möglichkeiten! Genau wie du sagst, dass man denkt: “Im Alter wird man eben gebrechlich“, oder “ab dreißig fängt es an, da geht’s abwärts” und was man nicht alles so hört. Für uns stimmt es nicht, dass man automatisch mit dem Älterwerden auch immer schlechter wird im Körper.
Du bist sehr jung geblieben, muss man dazu sagen. Vielleicht magst du von deiner Erfahrung erzählen. Was ist dein Blick? Also außer, dass du deinen Klient:innen sagst: „Du musst nicht so enden, wenn du dich jetzt darum kümmerst“. Wie machst du das für dich? Was sind deine Tipps, um jung zu bleiben?
Manuel: Du hast das Wichtigste schon gesagt: Lernen, die Wahrnehmung zu verändern. Ich kenne das zum Beispiel von den Parcour Leuten. Für Leute, die vielleicht nicht wissen, was Parcour ist: das sind die Jungs und Mädels, die sehr, sehr atemberaubende Kunststücke über Treppen und Geländer machen, von einem Haus zum anderen springen und sich bewegen wie Katzen. Das ist echt sagenhaft. Ich hab‘ leider diesen Begriff verloren. Also ein Begriff dafür, so einen urbanen Lebensraum als Spielplatz wahrzunehmen, und zu gucken, “wo kann ich denn welches Kunststück machen?”.
Ich kenne das auch tatsächlich noch von mir. Ich hatte eigentlich eine riesige Vorliebe für Mountainbiken. Das heißt, schön irgendwo in den Wald und runter preschen. Ich hatte aber auch eine Phase, da hab‘ ich das in der Stadt gemacht. Da bin ich Treppen hoch gesprungen, Treppen runter gesprungen usw..
Dann fährst du durch die City und guckst, “wo kann ich denn was machen”. Ich muss das aber nicht fürs Bike machen. Ich muss es nicht fürs Parcour machen. Ich kann da bei mir bleiben, bei meinen Füßen. Wo kann ich mich wie spielerisch herausfordern? Vielleicht wenn ich irgendwo warte, an der Bahn oder sonst irgendwo. Ich muss aber erstmal lernen zu sehen, was ich für Möglichkeiten habe, um mich mal anders zu bewegen. Von wem kannst du da am besten lernen? Von Kindern. Für mich sind Tiere auch tatsächlich sehr inspirierend, wenn es um das Thema bewegen geht. Die haben gewisse Filter nicht, die wir haben.
Vivi: Ja, dieser Mindfuck einfach!
Manuel: Ja, genau. Und zum Thema Altwerden und gebrechlich werden. Es wäre ganz schön dumm von der Natur, wenn sie uns einfach schlechter werden lässt. Das macht im Kontext Natur gar keinen Sinn. Jetzt könnte man sagen: Ja, aber wir sind ja normalerweise auch nicht 80 Jahre alt geworden, wir wären ja schon mit 30 gestorben.
Das finde ich ganz spannend. Ich weiß nicht mehr, wo ich das her habe. Wahrscheinlich von Prof. Dr. Liebermann. Der sagte, unser Ur-Ahn sei auch bis zu 80 Jahre alt geworden. Das kann man an Knochendatierungen messen. Das Durchschnittsalter war dann vielleicht 30 oder 40 aufgrund der hohen Kindersterblichkeit. Das haben wir heutzutage z.B. nicht mehr. Deswegen muss man da halt differenzieren.
Wann fing der Körper an, nicht mehr so zu funktionieren, wie er eigentlich sollte? Ab der landwirtschaftlichen Revolution. Das heißt, wir haben uns sesshaft gemacht, viel Getreide reingepfiffen und dann fing es an, dass unsere Lebenserwartung gesunken ist. Aber eigentlich, wäre ich vor 12.000 Jahren mit 70 gebrechlich gewesen, hätte ich doch nicht überlebt. Das kann also nicht das Argument sein, das ist ja unlogisch. Das heißt, irgendetwas ist in meinem Verhalten, in meiner Wahrnehmung falsch. Ich sage jetzt in dem Fall auch wieder falsch. Oder ich weiß einfach gewisse Dinge nicht, dass ich mich dann in diesem möglichen Kosmos einfach nicht bewegen kann. Das habe ich für mich irgendwann verstanden. Es ist vielleicht soziokulturell, was mir beigebracht wird. Ich erinnere mich noch, als ich aus der Schule gegangen bin. Mein erster Anzug, schöne Hemdchen und Krawatte. Ich hatte damals einen Job, da musste ich das tragen. Jacketts, italienische enge Schühchen. Geil! Ich kam mir vor wie Bolle.
Ich konnte mich aber in diesem blöden Anzug gar nicht bewegen. Wie viele Kunden habe ich mittlerweile gehabt mit der Frozen Shoulder? Weil die im Bürojob mit Jacketts aus feinstem italienischen Design sitzen. Diese Uniform, die gleichermaßen eine Zwangsjacke ist. Es gibt ganz viele Dinge, die sind für uns völlig normal. Genau das ist das Tragische. Dadurch, dass sie für uns so normal und allgegenwärtig sind, können wir sie gar nicht entlarven. Wie beim Thema Schuhe, das weißt du am besten. Wenn man gewisse Dinge einmal verstanden hat, dann wirst du nicht mehr älter, du wirst einfach nur besser.
Vivi: Ja, genau. Mega cool. Das ist, finde ich, ein guter Satz: “Du wirst nicht älter, du wirst nur besser.” Auf viele mentale Dinge trifft es auch absolut zu. Da ist es absolut selbstverständlich, dass man sagt: Ja klar, ich überwinde mentale Hürden oder Probleme.
Aber dass man das körperlich auch so sehen kann, ist glaube ich auch der Schlüssel dazu, dass man sich immer noch weiter Neues zutraut. Dass man nicht sagt: Meine Squats mache ich schon seit 10 Jahren so, die mache ich auf keinen Fall anders. Sondern dass man sagt: Ja klar, ich probiere etwas Neues aus! Gerade was Bewegung angeht, ist glaube ich Spielen einfach unglaublich gut, damit man mit Spaß dabei ist. Wenn man mit Spaß dabei ist, dann ist einfach alles ein bisschen schöner.
Manuel: Die größte Erfahrung durfte ich beim Capoeira machen. Das ist kein Kampf und kein Tanz, es ist irgendwo Hybrid. Das ist so alles und nichts. Es ist eine Form von Kunst, kann auch als Kampf bezeichnet werden. Aber es ist nicht vergleichbar mit Kickboxen oder dergleichen. Worum geht es beim Capoeira? Vor allen Dingen darum, zu spielen. Deswegen heißt es auch niemals „Kampf“, sondern es wird immer nur vom Spielen gesprochen. Egal ob auf Brasilianisch oder auf Englisch oder auf Deutsch. Wir spielen nur. Zwei spielen miteinander, die anderen stehen drumherum. Dann kann sich jeder, wir nennen es einkaufen, bzw. abschlagen. Also nicht abschlagen im Sinne von Hauen, sondern im Sinne von abwechseln und tauschen. Dann wird die ganze Zeit gespielt. Auch ein bisschen mit Finesse, dass man den einen oder anderen auch mal auf den Rücken legt und und und.
Eigentlich geht es nur darum, Spaß an der Bewegung zu haben, den Spielkameraden auch mal zu überraschen – mit einer Bewegung, womit der andere nicht rechnet – sodass man wirklich mal auf dem Arsch landet. Das fand ich so faszinierend. Das kann der Fünfzehnjährige sein oder der 65-jährige. Das ist eine bunte Gruppe und alle haben das gleiche Ziel. Jeder nach seinen Möglichkeiten. Es ist egal, ob du 15 bist und mit jemandem spielst, der 65 ist. Das Spiel hat immer das gleiche Niveau. Weil diese Chemie ist immer die gleiche.
Du versuchst, den anderen zu necken oder herauszufordern. Oder mit ihm zusammen etwas zu machen. Natürlich steigert sich das irgendwann mit den Skills, aber das ist eine andere Nummer.
Ich kam da rein, damals noch ein bisschen schwerer als jetzt, mit schätzungsweise 15 Kilo mehr Muckis. Und ich konnte mich nicht bewegen. Dabei war ich der Personal Trainer! Die anderen haben nichts von mir erwartet, weil die wussten schon, “der wird sich so oder so nicht bewegen können”. Alle waren am Schmunzeln. Weil das kannst du nicht vergleichen mit einer anderen Sportart.
Da wurde mir klar: Mir fehlen einfach die Variationsmöglichkeiten. Ich wusste gar nicht, in welchen Möglichkeiten ich mich auf kleinem Raum bewegen kann. Das hab‘ ich da erst mal gelernt, was da eigentlich alles möglich ist. Da wurde mir das alles erst mal bewusster. Nur weil ich fit aussehe, heißt es nicht, dass ich fit bin. Zumindest nicht in Bewegung.
Vivi: Ja, voll. Ich finde gerade diese ganze Bewegungsintelligenz und Bewegungsvarianz ist ein Thema, das viel zu wenig unterrichtet wird. Schon von klein auf. Wenn ich mich erinnere, was wir im Sportunterricht gemacht habe, war das nicht so berauschend und hat mich auch nicht wirklich abgeholt. Ich war da nicht so begeistert.
Aber um nochmal zu unserem Ausgangsthema zurückzukommen: das Thema Haltung bzw. Hohlkreuz. Du hast gesagt, Füße sind auf jeden Fall ein Schlüssel für dich. Und das Thema Atmung. Was ich gerne nochmal betonen möchte, es gibt nicht unbedingt DIE richtige Haltung. Es geht darum – auch wieder zum Thema Bewegungsintelligenz – dass man weiß, wie man seinen Körper bewegen kann, wie man ihn ansteuern kann. Dass man im Prinzip selbst in der Hand hat, wie man sich bewegt. Und dass man selber ändern kann, was man zu tun hat. Hast du noch einen Nugget für die Leser:innen was das Thema Hohlkreuz oder Haltung angeht?
Manuel: Du hast schon eine Sache gesagt, das betone ich auch immer wieder. Natürlich ist das Marketing. Ich muss irgendwie dem Kind einen Namen geben. Hey, lerne dein Hohlkreuz besser verstehen. Ich hab‘ ja grundsätzlich immer Schwierigkeiten damit, aber irgendwie müssen die Leute einen Anker haben.
Am Ende des Tages muss man auch verstehen, oder darf man verstehen, dass ein Hohlkreuz nichts Schlechtes ist. Es ist gut, dass deine Wirbelsäule sich in diese Richtung bewegen kann. Wichtig ist nur zu verstehen, wenn ich nur das kann, dann fehlt mir vielleicht eine Varianz auf der anderen Seite. Was z.B. gerade bei dem Thema Hohlkreuz sehr, sehr hilft, ist die Atmung.
Wenn ich das Thema Atmung ein bisschen mehr für mich versuche zu verstehen, speziell die forcierte Ausatmung. Ich kann den Mund z.B. ganz spitz formen, wie beim Pfeifen, und gehaucht ausatmen. Dabei versuche ich, meine Bauchmuskeln zu aktivieren und anzuspannen. Übungen wie diese können sehr effektiv sein, wenn man mehr Spannung im Körper braucht. Somit wird die eigene Haltung effizienter und man kommt raus aus dem Hohlkreuz.
Vivi: Ja, ich finde das super spannend. Ich hab‘ auch demnächst noch zwei Gäste im Podcast, was das Thema angeht. Ich finde noch wichtig dazu zu sagen, wenn du jetzt davon sprichst, die Bauchmuskulatur anzuspannen, um die Luft raus zu pressen. Es geht nicht darum, dass man einfach alles so zusammen cruncht und alles aktiviert, sondern dass man tatsächlich durch die Atmung lernt, zu kontrollieren. Was machen meine Rippen? Wie spanne ich meine Muskulatur an? Das ist natürlich in einem Artikel nicht so easy zu erklären.
Ich habe mich sehr gefreut. Vielen Dank, dass du dein cooles Wissen mit uns geteilt hast und dass du uns unterhalten hast. Magst du abschließend was sagen oder hast du alles schon gesagt?
Manuel: Nein, das Wichtigste ist, weil es mir auch am meisten geholfen hat: Sei neugierig! Hinterfrage alles, aber sei neugierig. Du wirst feststellen, wenn wir diese Arroganz besitzen „aber das hab ich schon immer so gemacht und mein bester Freund macht das auch so“, dann werde ich vielleicht ganz wertvolle Nuggets nicht finden, die aber mein Leben bereichern könnten. Die eventuell sogar meine Gesundheit verbessern können. Da sind wir wieder bei den Kindern. Kinder sind neugierig, die fragen auch alle Nase lang warum, wieso, weshalb. Das würde ich mir für dich wünschen, liebe Leser:in.
Ja, vielen, vielen Dank! Falls ihr Lust habt, noch mehr über das Thema gesunde Bewegung zu erfahren, dann folgt gerne auch Gravity Coach Manuel auf Instagram.
Falls du Fragen oder Anregungen hast dann schreibe es gerne in die Kommentare oder schicke eine E-Mail an mail@vivibarfuss.com
Möchtest du deine Füße aktiv mit uns trainieren? Dann geht’s hier zu den Kursen. Für mehr Tipps und Inspirationen folge mir gerne auf Instagram und komme in die kostenfreie Facebook Gruppe „Füße trainieren mit Vivi Barfuß“.
Mein Team und ich freuen uns auf dich!
Viele Grüße an die Füße,
Vivi